"Nachtschnee" von Melmoth

Veröffentlicht auf von Rahir

Titel: Nachtschnee
Autor: Melmoth
Prosa
Original
Genre: Hm... Kurzgeschichte / Allgemein
Link: http://www.fanfiktion.de/s/4ad66943000038370c901b58
Kurzbeschreibung: Momentaufnahme eines Deliriums. Irgendwann in den letzten hundert Jahren und in jedem Land, dem der Leser es zutraut.

 

 

Sprache

Von der orthografischen Seite her gibt es soweit nichts zu bemängeln- was bei einem so kurzen Text auch verwunderlich wäre. Was Dinge wie Satzstellung und Ausdrucksweise angeht, muss ich voranschicken, dass sich dieser Text in kein Schema pressen lässt und auch nicht eindeutig in irgendein Genre. Unter ‚Kurzgeschichte‘ verstehe ich etwas anderes- beispielsweise Handlung und Charaktere. Beides gibt es hier nur fragmentarisch. Am ehesten würde ich diesen Text noch als postmodernistisch angehauchte Poesie bezeichnen. So gesehen, ist die bruchstückhafte Ausdrucksweise durchaus angemessen.

Inhalt/Handlung

Von einer ‚Handlung‘ zu sprechen, wäre nicht angebracht. Vielmehr werden mithilfe von ‚Gedankensplittern‘ Themen wie Zeitgefühl und das Schwinden von eben diesem, Existenzialismus, Angst vor dem Tod, Widerstand gegen äußere und gefühlte Zwänge sowie Resignation auf eine so knappe Weise behandelt, dass dem Leser die Interpretation und die Sinngebung überlassen bleibt. Ganz im Sinne des Postmodernismus lässt der Autor den Leser mit den erzähltechnischen ‚Trümmern‘ eines Deliriums zurück und überlässt es ihm, diese Bruchstücke zu einer Geschichte zusammenzusetzen, oder sie als das zu belassen, was es in meinen Augen ist: ein wirres Durcheinander, wie es im Geiste eines Erkrankten, dessen Perspektive hier vermutlicherweise geschildert wird, in vorstellbarer Weise zugehen kann.


Charaktere

Der ‚Charakter‘ dieser Geschichte, sofern man in solchen Begriffen überhaupt sprechen kann, ist scheinbar jemand, der an seinem Krankenbett Besucher empfängt(oder dies in seinem Delirium zumindest glaubt). Persönlichkeit ist nur in Fragmenten erhalten, gleich einem Bild, das sich in wenigen Splittern eines Spiegels unvollständig und verzerrt darstellt. So gesehen, ist diese Darstellung durchaus geglückt. Die Wandlung dieser Figur endet nach anfänglichem Aufbäumen in Resignation. Gute Laune verbreitet das beim Leser kaum, aber das ist wohl auch nicht die Absicht dieses Textes. Zumindest driftet der Text nirgends in Weltschmerzgejammer- dem Thema in 98 Prozent aller Gedichte- ab, wofür ich persönlich dankbar bin.


Sonstiges

Die Kurzbeschreibung ist genauso kryptisch gehalten wie der eigentliche Text, wodurch sie eigentlich ganz passend ist. Die Idee, ein Delirium um den Begriff ‚Nachtschnee‘ und seine verschiedenen Assoziationen zu weben, ist durchaus originell. Wie viele modern angehauchte Lyrik, so windet sich auch diese aber darum herum, auf einen klaren Punkt zu kommen. Dass das nicht geschieht, lässt schon der Titel ‚Delirium‘ vermuten; ob einen eine solche Interpretationsspielwiese aber anspricht, ist wohl individuell sehr verschieden.


Persönliche Meinung

Solche Lyrik-artigen Texte sind immer eine Frage des Geschmacks, des persönlichen Zugangs und der jeweiligen Interpretation, auf die man sich einlassen möchte. Ich für meinen Teil bevorzuge Lyrik vergangener Jahrhunderte, die frei von modernistischen Einflüssen sind- was nicht heißt, dass dieser Text nicht seine Fans finden wird. Das, was er beabsichtigt, erreicht er durchaus.  


Liebe Grüße,

Rahir

Veröffentlicht in Poesie

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M
<br /> Hallo Rahir!<br /> <br /> Vielen Dank! Du hast recht, dass es schwer zu sagen ist, ob das wirklich ein Prosatext oder doch eher Lyrik ist. Ich habe mir da mit der - zugegebenermaßen tatsächlich falschen - Bezeichnung<br /> Kurzgeschichte beholfen, weil ich im Grunde selbst nicht weiß, in welche Kategorie damit.<br /> <br /> Inhaltlich finde ich es spannend, wie unterschiedlich die Assoziationen ausfallen können. Auf einen Kranken und dessen Besucher war ich selbst nie gekommen, aber ich habe es gerade unter dem<br /> Aspekt<br /> noch mal gelesen, und mir sind von einem Schizophrenen über einen Typen auf Drogenentzug bis hin zu einem stark dementen Patienten gleich mehrere Kranke eingefallen, bei denen man sich<br /> derartige<br /> Bewusstseinszustände vorstellen könnte. Wie gesagt, ist interessant.<br /> Mein persönlicher Gedanke war immer ein Gefängnisinsasse, der seit mehreren Tagen und Nächten (anfangs ist ja von drei die Rede, am Ende dürfte man so etwa am fünften Morgen angekommen sein)<br /> die<br /> Fragen mehrer sich abwechselnder Personen beantwortet.<br /> <br /> Weißt du zufällig, ob das was Konkretes war, was dich auf die Assoziation mit dem Kranken gebracht hat? Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich den Text mit der unerwarteten<br /> Interpretationsmöglichkeit so lassen oder ob ich die Situation eindeutiger machen möchte. Aber falls letzteres, wäre es interessant zu wissen, ob es was bestimmtes ist, was eher an Krankenhaus<br /> als<br /> an Gefängnis denken lässt, damit man gegebenenfalls genau das ändern könnte.<br /> <br /> Liebe Grüße,<br /> Melmoth<br /> <br /> <br />
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